Eine Frage des Nationalstolzes

Karn Kant
3 min readMar 11, 2024
Der Hund

Der Schatzkanzler im britischen Unterhaus erklärte kürzlich, dass „der Nationale Gesundheitsdienst zu Recht der Hauptgrund dafür ist, dass die meisten von uns stolz darauf sind, Brite zu sein“.

Indien, auf der anderen Seite des ehemaligen Imperiums, verfügt nicht über ein solches Netz der Fürsorge für alle.

FRAGE: Worauf kann ein Inder dann stolz sein? Yoga, reichhaltige Küche, Tänze, Musik, Sprachen, Steintempel, Schach, Theaterstücke, Mathematik, Philosophie, mehrere Religionssysteme, Kho-Kho oder Vastu?

ANTWORT: Ein Ofen.

Ein Mikrowellenherd

Dies erfordert eventuell Kontext. Vor einigen Jahren muss ein Personalleiter meiner amerikanischen Firma bei einem TED-Talk oder Tiktok-Video erfahren haben, wie wichtig es sei, den Mitarbeitern zu zeigen, dass sie geschätzt sind. Und so bekam ich in meiner Schweizer Stadt ein E-Mail-Gutschein für ein kleines Elektrogerät. Ein Schicksal, das vermutlich hunderttausend Kolleginnen teilten.

Ich entschied mich dafür, meinen Eltern einen Mikrowellenherd zu schenken, da ihrer sich anscheinend manchmal suspekt verhalten hat. Ausserdem brauchten sie weder einen Wasserkocher noch einen Haartrockner. Das Gerät wurde ordnungsgemäss nach Indien geliefert und stand jahrelang unbenutzt in einer Küchenecke.

Vor einigen Wochen ging die Mikrowelle einer Tante kaputt. Diese Nachricht verbreitete sich im Familiennetzwerk. Eine andere Tante schlug meiner Mutter vor, ihre unbenutzte Mikrowelle weiterzugeben. Eine weitere Tante engagierte sich und unterstützte die Idee. Es folgte die Zustimmung des ältesten Onkels.

Meine liebe Mutter war von Natur aus dafür — aber sie befürchtete, dass meine Gefühle verletzt werden könnten, denn es war ein Geschenk gewesen. Sie vertraute dies meinem Bruder an.

Er, ein Surrey-Junge, wie der Schatzkanzler in derselben Rede sowohl den Führer der „Most Loyal Opposition“ als auch sich selbst nannte, deutete an, dass ich höchstwahrscheinlich nicht enttäuscht sein würde, wenn der Ofen den Besitzer wechselte.

Aber um sicherzugehen, rief er mich an. Ich hatte das Ganze natürlich vergessen, bestätigte aber sofort seine Position.

Bisher waren sieben unterschiedliche Haushalte involviert. Es herrscht Konsens.

Nun zur Logistik. Die zuerst erwähnte Tante ist — wie alle ihre Geschwister — schon älter und man kann einfach nicht erwarten, dass sie einen Mikrowellenherd mit sich herumschleppt. Meine Mutter und ein Onkel haben jeweils Zugang zu einem Auto und einem Chauffeur. Allerdings haben beide Fahrer Probleme mit dem Rücken und dürfen keine schweren Gegenstände heben.

In der Zwischenzeit kam ich zu Besuch, da der Familienhund leider krank wurde. Nach einigen Tagen des Unglaubens und der Versicherung mehrerer Verwandter, dass „die Mikrowelle keine Priorität habe“, war klar, dass eine Verlegung notwendig war. Nicht wegen des Nutzens des Kochens von Lebensmitteln, sondern weil es um die psychische Gesundheit der Menschen ging, die mir am Herzen liegen. „Wenn wir die Mikrowelle nicht bald herschicken, könnte sie denken, dass wir uns nicht wirklich davon trennen wollen.“

Deshalb trug ich nach einem Besuch beim Tierarzt, obwohl der Tisch zum Mittagessen gedeckt war, den Ofen zum Auto, sass auf dem Rücksitz und fummelte an meinem Telefon herum und fuhr durch die halbe Stadt. Ich nahm einen Aufzug mit Eisengitter und stellte die Mikrowelle bei meiner Tante im dritten Stock ab.

Auf der siebten Etage wohnt eine andere Tante, und ich überlegte, ob ich spontan „Hallo“ sagen sollte — auch sie hatte ich seit vielen Monaten nicht gesehen. Aber ich wollte meiner Mutter das Mittagessen nicht länger verweigern — meine Bitte, nicht auf mich zu warten, würde sicherlich ignoriert werden.

Aber, aber — die Mikrowelle war umgestellt worden. Die Nachricht würde sich bald verbreiten und Freude über die eine Küche hinaus bringen.

Da haben wir also die Antwort: ein leicht austauschbarer Ofen.

Doch es ist nicht nur eine indische Antwort.

Eine Freundin aus Como versicherte mir, dass die Geschichte genauso gut in Italien hätte passieren können. Oder vielleicht wirklich überall.

Mehr noch, das könnte das Einzige sein — sei es durch kostenlose medizinische Leistungen für Millionen oder eine triviale, ungefragte Gefälligkeit –, worauf Nationen wirklich stolz seien sollen: Solidarität.

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Karn Kant

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